Viele Segler auf Langfahrt berichten immer wieder vom Versagen der Technik, Bruch, Reparaturen, Ausfällen, Fehlfunktionen und im Hafen treffen wir immer wieder Gleichgesinnte, die Seiten füllende Listen von zu reparierenden oder zu optimierenden Teilen ihres Bootes führen und Tag für Tag die Liste abarbeiten, während immer fort neue Pendenzen dazukommen. Segler haben den Spruch geprägt «Langfahrt ist, an den schönsten Orten der Welt das Boot zu reparieren».
Abends, wenn sich die Seglergemeinde bei Sonnenuntergang zum Bier trifft, sei es in der Hafenkneippe oder an Bord jenes Seglers, mit der stärksten Kühlbox, werden Geschichten ausgetauscht. Man erzählt von den grössten Wellen, dem stärksten Wind, dem teuersten Hafen, dem einsamsten Sandstrand und von der mühseligsten Reparatur. Und da hören wir immer wieder Geschichten von kaputten Getrieben, undichten Zylinderköpfen, ausgerissenen Holepunkt-Schienen, gebrochenen Ruderstangen, verlorenen Antriebsschrauben, lecke Hydrauliksteuerungen, Kollisionen, gerissenen Segel und vielem mehr. Und wir erzählen von ein paar Tropfen Wasser in der Bilge und einer Schranktür, welche sich nicht mehr ganz schliessen lässt und ernten dafür meist, wen erstaunt es, wenig Mitgefühl und Zuspruch.
Wir haben Glück und sind dankbar, dass wir bis jetzt kaum Sorgen haben. Wir sind auch dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, ein eher «junges» Boot zu segeln, gebaut von einer Werft mit einem exzellenten Ruf. Und wir sind froh, dass wir drei Jahre Zeit hatten, Kinderkrankheiten auszumerzen.
Wir loben nicht den Tag vor dem Abend, aber wir sind dankbar und hoffen, dass wir weiterhin wenig zu diesen Geschichten beisteuern können. Eine Geschichte wollen wir aber heute doch erzählen:
Die Möwe
Von weitem sehen wir sie, die Möwe. Unter all den Masten der Segelboote im Hafen hat sich die Möwe ausgerechnet unseren Mast als Ruheplatz ausgesucht. Dort oben, wo all die feinen spitzen Antennen unsere Signale in den Äther tragen sollen, dort oben hat sie sich hingesetzt. Und zwar mitten auf jenes Instrument, dass in seiner filigranen Art den leisesten Windhauch zu spüren vermag und uns dessen Richtung und Stärke für die korrekte Trimmung der Segel anzeigen soll. Aber eben auch jenes einzige Instrument, das an der Mastspitze in waagerechter Art angebracht ist und sich damit in der Logik dieser Möwe als zweckmässiger Ruheplatz anerbietet.
Von der anderen Seite des Hafenbeckens schauen wir zu. Aus lähmender Distanz sehen wir, wie das Unheil für den Windmesser mit jedem Augenblick des Möwens Rast seinen Lauf nimmt. Es scheint, als ob der Windmesser mit Drehungen nach links und rechts die Möwe abzuschütteln versucht, doch diese gleich geschickt die Drehungen aus, trippelt von einem Fuss auf den anderen, verlagert das Gewicht mal mehr zur Spitze des Windmessers und mal mehr zum Ende mit der kleinen Fahne.
Rufen, schreien und wildes Gestikulieren, nichts mag die Möwe in ihrer Rast stören. Ach, was würden wir geben für eine Steinschleuder, eine Luftpistole oder manch anderes kriegerisches Material. Hektisch rennen wir los, in der Hoffnung, unser Boot zu erreichen und am Mast zu rütteln, bevor der Windmesser seinen hoffnungslosen Kampf verliert.
Da, ein Hoffnungsschimmer, der weisse Ritter naht, ein Motorboot. In rascher Fahrt fährt es ins Hafenbecken und wirft eine Welle, welche unser Boot vom Kiel bis in die Mastspitze durchschüttelt. Selbst quer durch das Hafenbecken, meinen wir das Ächzen und Stöhnen unserer Festmacher Leinen, welche das harte Einrucken unseres Bootes abzufedern haben, hören zu können.
Nur die Möwe lässt sich nicht beirren. Überlegen gleicht sie auch diese Schwankungen aus, ja, nicht einmal die Flügel öffnen sie, um sich zu stabilisieren. Sie geniesst die Herausforderung ihres Rastplatzes und nimmt spielerisch jede Bewegung an. Und der Windmesser biegt sich immer mehr und mehr.«Möwe, wunderliches Tier, willst uns nicht verlassen?» Unser Ausruf auf den letzten Metern zurück zum Boot scheint sie aber doch wahrzunehmen – breitet ihre Flügel aus und fliegt weg, einfach so, noch bevor wir, nun endlich wieder auf dem Boot, am Mast rüttelnd sie verscheuchen konnten.
Für unseren Windmesser kommt aber die Rettung zu spät, weder Richtung noch Stärke des Windes vermag er mehr anzuzeigen. In einem letzten Aufbäumen zeigt er nochmals jegliche denkbaren Richtungen an, signalisiert Sturm und Flaute zugleich, entscheidet sich zuletzt für die Richtung 0° sowie die Stärke 0 Knoten – und hat sich seither nie wieder bewegt.
Ob die Herstellerfirma uns den Windmesser wohl auf Garantie ersetzt?
Die Möven sehen alle aus, als ob sie Emma hießen….
Auf „Emma!!!“ hätte sie gehört.
Wir haben geschrien – die Möve kannte Kästner jedoch leider nicht 🙂