Willi legt ab

Willi ist kein Holländer. Willi hat viel gesehen, viel gesegelt, fast immer alleine auf einer 38 Fuss Segelyacht. Er war in Norwegen, in England und gar einmal in der Bretagne. Und immer wieder zieht es ihn zurück in die Niederlande, ans Ijsselmeer.

Seit zwei Tagen liegt Willi zuinnerst in einem Päckchen von fünf Segelyachten längsseits am Steg in Enkhuizen. Der Hafen ist gut belegt. Vor und hinter Willi liegen andere Segel- und Motorboote, auch jeweils im Päckchen. Mindestens immer vier oder mehr Boote in einem Päckchen. Dicht an dicht.

Willi hatte gestern neue Segel erhalten und will diese heute ausprobieren, es weht ein leichter Segelwind aus nördlicher Richtung. Willi kennt und pflegt die Hafenetikette und hat daher bereits gestern Abend alle Päckchenlieger informiert, dass er gerne um 10:00 Uhr ablegen würde. Der neben ihm liegende Schweizer, hat sofort «kein Problem» gesagt. Die restlichen Boote, alles Holländer, waren weniger begeistert, da 10:00 Uhr mitten in die Frühstück Zeit fällt. Aber, wenn der innerste Päckchenlieger weg will, müssen die anderen halt auch ablegen, so dachten wir zumindest.

Seit neun Uhr ist Willi bereit zum Ablegen, die Schweizer Yacht bereits seit Fünf vor Neun. Auf die Schweizer ist Verlass, denkt Willi, und die Holländer, die schlafen zwar alle noch, aber es ist ja noch eine Stunde bis Zehn. Als er so seinen Blick über das Päckchen schweifen lässt, bemerkt er, dass in der Nacht noch eine weitere Yacht dazugekommen ist. Sofort macht er sich auf, über all die Yachten zu steigen, sich von Relings Draht zum nächsten angelnd, was ihm in seinem Alter nicht mehr ganz so einfach fällt, erschwerend der Rosé, mit welchem sich Willi für die Ausfahrt bereits gestärkt hat, um die neue Yacht auch noch zu informieren, dass er gerne um Zehn auslaufen möchte. Den schlaftrunkenen Blick des Skippers deutet Willi dahingehend, dass auch dieser um Zehn für Willi Platz machen wird.

Als Willi um Zehn den Motor startet, beginnt auf den holländischen Booten ein grosses Palaver. Was genau die Skipper da diskutieren, versteht Willi nicht, der Motor der Schweizer Yacht, welcher seit Fünf vor Zehn läuft, übertönt die Diskussion. Aber, offensichtlich haben sie einen Sprecher bestimmt, den dieser steigt von der einen Yacht zur anderen, recht behänden, trotz dem Pyjama, welches er noch trägt, zu Willi rüber und schlägt diesem vor, dass die Schweizer Yacht, sich doch von Willi’s Yacht abbinden soll, so dass dann das ganze restliche Päckchen, jetzt ohne Willi, einfach ein paar Meter zurücksetzen kann, so dass Willi in der entstehenden Lücke, rückwärts gegen den Wind, hinausfahren kann. Willi ist wenig begeistert, aber seine Seglerehre lässt nicht zu, dass er sich und dem holländischen Päckchensprecher eingesteht, dass er sich dieses doch etwas abenteuerlich anmutende Manöver nicht zutraut. Insbesondere die Lücke, welche da entstehen sollte, macht ihm etwas Sorgen. Im Moment sind die Päckchen recht nahe beisammen, zwei Meter Abstand vielleicht. Wenn nun das, nennen wir es einmal Schweizerpäckchen, die zwei Meter bis zum nächsten Päckchen zurücksetzt, so ergibt das auf der anderen Seite eine Lücke von 4 Metern, was ziemlich genau der breite seiner Yacht entspricht. Aber wie er diese dann noch um neunzig Grad drehen soll, das ist ihm schleierhaft. Aber der holländische Päckchensprecher hat so zuversichtlich getönt und angedeutet, dass dieses Manöver gang und gäbe sei in Holland und nur die weniger erfahrenen Skipper dazu das Bugstrahlruder benutzen würden. Das hat Willi etwas beruhigt. Nicht dass er ein Bugstrahlruder hätte, nein, aber er ist ja auch kein weniger erfahrener Skipper. Und den etwas auflandigen Wind, den spürt man ja kaum.

In der Zwischenzeit haben die anderen holländischen Skipper versucht, dem Schweizer das Manöver klar zu machen. Den eigentlich wird es sein Manöver sein. Sie, die Holländer hängen einfach am Schweizer Boot, mehr auch nicht. Der Schweizer soll doch etwas zurücksetzen, dabei aber aufpassen, dass er die grosse Motoryacht, mit dem überhängenden Heck, nicht streift, den Bug mitsamt den vier anderen Yachten gegen den Wind etwas drehen, um so Willi die Ausfahrt zu ermöglichen. Nein, eine Landleine dazu brauche er nicht, das würde schon gehen, meint der Skipper auf der übernächsten Yacht ermutigend.

So beginnt die eigentliche Geschichte. Willi löst alle Leinen, fährt etwas rückwärts, der Schweizer auch, doch eine seiner Leinen hat sich auf dem Deck von Willi verhakt. Willi turnt mit der Geschmeidigkeit von ein paar Gläschen Rosé nach vorne, die Leine zu lösen, lässt aber dabei den Motor rückwärts weiterlaufen. Dies erschreckt die Skipper des hinter Willi liegenden Päckchens, welche, bewaffnet mit allen verfügbaren Fendern nun plötzlich vollzählig am Bug stehen und Willis Yacht abzuhalten versuchen. Willi rennt wieder nach hinten. Derweilen kämpft der Schweizer mit der Motoryacht, deren Heck bedrohlich nahekommend. Mittlerweilen ist eine Reisegruppe auf dem Steg auf Willi aufmerksam geworden und die Fotokameras klicken im Rhythmus mit dem abrupten vorwärts und rückwärts Gas geben von Willi. Von den Nachbarsyachten schallen erste Unmutsbekundungen quer über das Hafenbecken. Einzelne Stimmen meinen gar, dass es zu wenig Platz hätte und das Schweizer Päckchen soll doch vollständig ablegen. Nur die holländischen Skipper haben die Ruhe weg. Der eine streicht sogar noch Frühstückbrötchen für seine Kinder, während er mit dem Motor das Schweizerpäckchen etwas beim Platzmachen unterstützt.

Unter lautem Fluchen von Willi, gequetschten Fendern, aufmunternden Zurufen der Reisegruppe und weniger aufmunternden Zurufen der Nachbarslieger, schafft es aber Willi dennoch irgendwie aus der Lücke zu steuern. Die Situation entspannt sich wieder, der Schweizer und sein Päckchen treiben, durch den Wind unterstützt, langsam wieder längsseits des Stegs, Willi winkt ein letztes Mal und, man meint, doch etwas Stolz in seinen Gesichtszügen erkennen zu können.

Dreissig Minuten später legten die Holländer dann auch ab und wir folgten ihnen nach.

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